Didaktik

Wachsende Mobilität, Migration und neue Technologien stellen steigende Anforderungen an die Sprach- und Sprachlernkompetenzen der Menschen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Schule, sowohl im Privat- als auch im Berufsleben. Eine Antwort der Bildungssysteme auf den gesellschaftlich-kulturellen Wandel ist die Förderung von mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenzen. Der Begriff ‘Mehrsprachigkeit’ wird hier im Sinne des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) des Europarats (2001) verwendet und «betont die Tatsache, dass sich die Spracherfahrung eines Menschen in seinen kulturellen Kontexten erweitert […]. Diese Sprachen und Kulturen werden aber nicht in strikt voneinander getrennten mentalen Bereichen gespeichert, sondern bilden vielmehr gemeinsam eine kommunikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren» (Europarat 2001, 17). Für die Schule kann dies bedeuten, dass die Förderung der Mehrsprachigkeit und Interkulturalität sprachen- und fächerübergreifend angegangen wird. Dieser vernetzte, sprachenübergreifende Ansatz stellt eine tragende Komponente der Didaktik der Mehrsprachigkeit nach der folgenden Definition dar:

Die Didaktik der Mehrsprachigkeit ist die Wissenschaft vom kombinierten und koordinierten Unterrichten und Lernen mehrerer Fremdsprachen innerhalb und ausserhalb der Schule. Ihr primäres Ziel ist die Förderung der Mehrsprachigkeit durch Erarbeitung sprachenübergreifender Konzepte zur Optimierung und Effektivierung des Lernens von Fremdsprachen sowie durch die Erfahrung des Reichtums der Sprachen und Kulturen. (Wiater 2006, 60)

Ausgehend von dieser Definition spielen für das vorliegende Konzept nicht nur die schulischen Fremdsprachen, sondern auch die Schulsprache und die Migrationssprachen eine wesentliche Rolle in der Förderung der Mehrsprachigkeit. So wurden bereits seit einigen Jahren im In- und Ausland Modelle und Ideen für die Gestaltung von Sprachencurricula entwickelt, welche diesen Ansatz zielführend fördern. Gemäss diesen Referenzdokumenten werden Sprachen nicht isoliert gelernt, sondern das gesamte mehrsprachige Repertoire des Individuums wird ins Zentrum schulischer Förderung gerückt. Zu diesen Publikationen gehören zunächst europäische Grundlagendokumente wie der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (Europarat 2001), der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen REPA/CARAP (Candelier et al. 2007, 2012), der Guide pour le développement et la mise en oeuvre de curriculums pour une éducation plurilingue et interculturelle (Europarat 2010/2015) und die Ressourcenplattform des Europarates Languages in educationlanguages for education. Wichtige Publikationen für den Schweizer Kontext sind das Gesamtsprachenkonzept der EDK (Lüdi et al. 1998), die Sprachenstrategie der EDK (2004), sowie die aktuellen Lehrpläne wie der Lehrplan 21, der Lehrplan Passepartout und der Plan d’études romand (PER). Auch im benachbarten Ausland gibt es wichtige vergleichbare Entwicklungen, die z.B. im Curriculum Mehrsprachigkeit (Krumm et. al. 2011) und im Rahmenmodell Basiskompetenzen Sprachliche Bildung für alle Lehrenden (Österreichisches Sprachen-Kompetenz-Zentrum 2014) dokumentiert sind.

Mehrsprachig angelegte Curricula können nur dann eine Wirkung zeigen, wenn sie von Lehrpersonen in der Praxis umgesetzt und mitgetragen werden (vgl. Egli Cuenat et al. 2010, Heinzmann et al. 2010, Egli Cuenat 2011, Haenni Hoti & Heinzmann 2012). Angehende Sprachenlehrpersonen sollten daher zu Expert/innen für die Förderung von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität ausgebildet werden, die über ein Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Sprachen und Kulturen sowie über das notwendige Rüstzeug verfügen, um synergetisches Lernen sowie sprachliche und (inter)kulturelle Bewusstheit zu fördern. So sollten sich angehende Sprachenlehrpersonen als Teil eines Lehrkörpers verstehen, der im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik gemeinsam die Verantwortung für eine kohärente Förderung des mehrsprachigen Repertoires der Lernenden übernimmt (vgl. Europarat 2015, 95). Gleichwohl ist die Mehrsprachigkeitsdidaktik jedoch lange Zeit «eine eklatante Lücke in der Geschichte der Lehrerbildung geblieben» (Issler 2016, 118). Ziegler (2012) weist zudem darauf hin, dass es gegenwärtig einen spürbaren Widerspruch gibt zwischen dem Anspruch an Sprachenlehrpersonen, dass sie im Klassenzimmer transdisziplinär und sprachenübergreifend in einer mehrsprachigen Perspektive arbeiten, und der Ausbildung derselben zu Experten und Expertinnen in meist nur einer Sprache. Mehrsprachige Ansätze in der Lehrerbildung stellen nach wie vor eine Ausnahme dar (Ziegler 2012).